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FRAUENPORTRAIT - SELBST.BEWUSST.OFFEN

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Dieser Alptraum begleitete die verwaisten Eltern und die beiden Geschwister von Maxi über viele Jahre und führte zu tiefgreifenden Veränderungen. Ein Weg der Heilung war für Ursula Rogal, sich der Trauerbegleitung zu widmen und selbst Menschen in Trauer- und Verlustsituationen zu helfen.

Rita Sieber: Liebe Ursula, vor gut zwei Wochen hat sich der Todestag Deines Maxi zum neunten Mal gejährt. Wie gestaltet Ihr diesen schweren Tag? 

Ursula Rogal: Liebe Rita, dieser Tag wird immer der „schwerste“ Tag des Jahres bleiben. Man soll, so wird geraten, diesen Tag im Voraus planen und gestalten – und das mache ich nach wie vor. Ich nehme mir frei, um einen Gottesdienst zu besuchen, Maxis Grab zu besuchen, um in Erinnerung zu versinken, um, um, um…. Und doch geschieht Vieles nicht.

Denn an diesem Tag stehe ich nach wie vor „neben mir“, ich bin zu nichts fähig. Ich denke über diesen Tag vor mittlerweile neun Jahren nach und erinnere mich, was geschah. Jede Stunde wird mir dabei bewusst: der letzte Satz den ich zu meinem Sohn sagte, die letzte Berührung, der Abschied…

Im Herzen ist Maxi bei uns – das spüren wir: Wenn wir einfach hinhören und auf die kleinen Zeichen achten. Gerade in diesen schweren Tagen wird uns Maxi immer am Nächsten sein. 

Rita Sieber: Ich kann mich gut erinnern – etwa ein Jahr nach Maxis Tod bist Du auf mich zugekommen und hast angefragt, ob eine Ausbildung zur Trauerbegleiterin beim KDFB möglich ist. Was hat dich mitten in Deiner eigenen Trauer dazu bewogen?

Ursula Rogal: Zu dieser Zeit gab es bei uns in der Umgebung keine Trauerbegleitung. Ich wollte dies ändern. Es soll doch jemanden geben, mit dem ich sprechen kann über all meine Schmerzen, über all meine Gefühle und Gedanken –wenn es meiner Familie oder meinen Freunden zu viel wird, und sie meine Geschichte nicht mehr hören können, da ich sie schon so oft erzählt habe. Aber nur reden, reden und immer wieder reden hilft einem, aus diesem tiefen Loch in kleinen Schritten etwas mehr heraus zu kommen: „Ich reiche dir meine Hand, gemeinsam schaffen wir das“ – das war und ist meine Herzensangelegenheit.

Rita Sieber: Du hast nach Deiner Ausbildung gleich einige Projekte auf den Weg gebracht und viele betroffene Menschen zusammengeführt, erzähl doch ein wenig darüber.

Ursula Rogal: Ja, meine erste Trauergruppe. Alle in der Gruppe hatten ein Kind verloren, Maria sogar Kind und Mann. Es war eine ganz besondere, intensive Begegnung aller Teilnehmer – da gibt es doch Menschen, denen das Gleiche passiert ist wie mir, der intensive Austausch miteinander, die gestalteten Abende und Vieles mehr. Nachdem die Abende der Trauergruppe beendet waren, trafen wir uns immer noch regelmäßig: Wir bereiteten miteinander Rosenkränze vor, wir organisierten Radtouren und viele trafen sich anschließend noch im monatlichen Trauercafé.

Rita Sieber: Auf welche Probleme bist Du gestoßen?

Ursula Rogal: Schwierigkeiten in der Ausbildung zur Trauerbegleiterin gab es für mich keine.

Aber privat brach unser  ganzes Leben zusammen, wie ein Gebäude – wir haben es immer mit der Dresdner Frauenkirche verglichen: Eine Ruine die neu aufgebaut werden muss … du suchst dir die Teile aus, also die Steine, die du für dein zukünftiges Leben benötigst, die restlichen Steine brauchst du nicht mehr und die können aussortiert werden. So fügt sich dein künftiges Leben wieder zusammen.

Rita Sieber: Warum ist Dir die Trauerbegleitung zur Herzensangelegenheit geworden?

Ursula Rogal: Wir tragen unsere Toten im Herzen, Maxi ist mir immer nahe, ist immer bei mir im Herzen. Ich darf das so intensiv spüren und das möchte ich jedem Trauernden einfach mit auf den Weg geben: Wenn wir an unserer Trauer arbeiten, wenn wir in uns hineinhören, dann spüren wir es – du bist immer bei uns, zwar nicht sichtbar, aber spürbar. Und vielleicht entdecken wir einige Zeichen die uns sagen wollen: Sei nicht so traurig, ich bin bei dir!

Rita Sieber: Was würdest Du einer trauernden Mutter antworten, die vielleicht sagt: „Das schaffe ich nie, diese schlimme Trauer, das geht über meine Kräfte!“

Ursula Rogal: „Verstehe ich“, würde ich ihr antworten. „Das ist das Schlimmste, was Dir passieren konnte.“ Ich würde ihr Empfehlungen geben, wie sie vor allem am Anfang der Trauer vielleicht besser zurechtkommt – z. B. ist es hilfreich, bestimmte Rituale in den Tag einzubauen und den Tag oder die Woche zu planen. Aber das kann ich nicht verallgemeinern, da ist jede Trauernde eine ganz individuelle Person auf die ich Acht gebe, um ihr eine kleine Stütze zu sein.

Wir fallen in ein so tiefes Loch, aber die Löcher, in die wir fallen, werden immer weniger tief, je mehr wir an unserer Trauer arbeiten…

Rita Sieber: Liebe Ursula, ich danke Dir herzlich für Deine bewegenden und offenen Worte.

Anmerkung: Ursula Rogal steht gerne zur Beratung einer Trauergruppe, sowie in persönlichen Anliegen unter Email: trauerbegleitung@rogal oder über Facebook zur Verfügung.

 

Autor: Rita Sieber, Referentin für Theologie und Spiritualität
19.11.2017
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