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Dr. Ursula Schell spricht im fiktiven Interview mit Gertrud von Helfta, einer für ihre Zeit sehr ungewöhnlichen Frau. Sie lebte und wirkte im 13. Jahrhundert im Zisterzienserinnen-Kloster Helfta, dem mittelalterlichen Zentrum der deutschen Frauenmystik. Im Gespräch berichtet sie über ihre eigenen Glaubenserfahrungen und wie diese weitergegeben werden können.

U.S.: Liebe Gertrud, Du bist ja für Deine Zeit eine sehr ungewöhnliche Frau. Wie kam es dazu?
Gertrud:  Im 13. Jahrhundert gab es für Frauen noch nicht so viele Möglichkeiten wie für euch heute. Helfta ist für mich deshalb zu einem besonderen Ort geworden. Ich kam dort mit 5 Jahren in die Schule und erhielt eine fundierte Bildung. Darüber hinaus konnte ich mich dort bis an mein Lebensende immer weiterbilden.

U.S.: Helfta war ja zu Deiner Zeit ein berühmter Frauenort. Wie hast Du den Ort erlebt?Gertrud: Helfta war für mich ein Ort um von älteren Frauen zu lernen. Meine Schulleiterin Mechthild von Hackeborn und die Begine Mechthild von Magdeburg, die sich zu uns ins Kloster geflüchtet hatte, waren zwei Frauen, die mich sehr geprägt haben. Sie sind ihr Leben lang auf der Suche geblieben und haben mir neue Zugänge zum Glauben ermöglicht. Sie haben mich zu unendlichem Vertrauen in Gott, die Liebe und zu freiem Denken und Handeln in der Theologie ermutigt.

U.S.: Du hattest dort also die Möglichkeit dich mit Glaubensfragen auseinander zu setzen?
Gertrud: Ich sagte ja schon, dass ich immer die Möglichkeit hatte mit weiterzubilden. Ich wollte keinem Mann an Gelehrsamkeit nachstehen und hatte dort den Freiraum um wie Männer zu studieren. Da gibt es, glaube ich, Anknüpfungspunkte zu eurem Verband. Eure Gründerinnen haben sich ja auch für Frauenbildung stark gemacht und in einer Wissensgesellschaft wie heute ist Bildung ein Zukunftsprojekt. Außerdem konnte ich dort prophetisch reden, ich konnte Bücher schreiben und als Seelsorgerin tätig sein. Ich lernte so Gott mit allen Sinnen, nicht nur mit dem Verstand zu suchen. Ich weiß, auch heute habt ihr diese Sehnsucht nach Ganzheitlichkeit.

U.S.: Ja das stimmt, wir Frauen heute sind ebenfalls auf der Suche nach Wegen um unseren Glauben neu auszudrücken und zur Sprache zu bringen. Was war Dir dabei wichtig?
Gertrud: Mir wurde im Lauf der Zeit klar, dass wir Gott in neuen Bildern begreifen und zur Sprache bringen müssen. Gott ist nicht der kleinliche Richter, der unsere Sünden aufrechnet wie uns manche weismachen wollen. Gott ist Liebe und heilige Weisheit und bringt alles Leben hervor. Wir können völlig angstfrei sein, Gottes heilender Umgang macht die Versäumnisse unseres Lebens wieder heil. Gott nimmt Einzug in unser Herz und will ein einziger Geist und Atem mit uns sein. Gott kommt auf mich zu, ich brauche nur „leer“ sein, wie eine Schale, frei für das göttliche Wirken, dann werde ich zu einer Schale göttlicher Sehnsucht.

U.S.: Mich beeindruckt immer wieder, dass Du Dich nicht mit Deinen eigenen Erfahrungen begnügt hast, sondern Wege gesucht hast, wie auch andere Frauen dieses Erfahrungen machen können.
Gertrud: Meine Zeit war mit heute insofern vergleichbar, dass es auch große Aufbruchsbewegungen gab, die neue Formen des geistlichen Lebens suchten. Aber die Kleriker an verschiedenen Orten beschlossen keine Frauenklöster mehr zuzulassen, weil sie die Sakramentenversorgung nicht mehr gewährleisten konnten. Wir in Helfta sahen diese Suchbewegungen aber positiv, weil wir ein Kloster mit theologischem Niveau und einer Begeisterung für das kontemplative Leben waren. Damit Frauen in ihrer Suche unterstützt werden und einen geistlichen Weg gehen können, habe ich das erste Buch für Exerzitien (geistliche Übungen) geschrieben. Ich habe so den Frauen etwas an die Hand gegeben, was sie tun können um sich mit der Lebensmacht des Wortes Gottes zu verbinden. Deshalb schrieb ich: „Komm, Heiliger Geist, Lebenshauch, komm, o Gott-Liebe: erfülle mein Herz, denn – wehe! – Von allem Guten ist es leer. Entzünde mich zu lieben dich! Erleuchte mich, zu erkennen dich! Ziehe zu dir mich, erfreut zu werden durch dich! Errege mich zu genießen dich!“ (Exercitia Spiritualia II,24-36). Die Frauen konnten durch diese Übungen das Alphabet der Liebe Gottes lernen.

U.S.: Liebe Gertrud, danke für das Gespräch und die Einblicke in Deine Zeit. Ich glaube wir können auch heute noch einiges von Dir lernen.

Autor: Dr. Ursula Schell, Geistliche Begleiterin des KDFB-Diözesanverbandes Augsburg
18.11.2018
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